Antisemitismus und Logik?

Alex Bergstedt: Hans im Dilemma

Hans war ein ganz normaler Jugendlicher in einer ostdeutschen Kleinstadt. Viele seiner Freunde waren rechtsradikal. Er selbst war eher unpolitisch, und wie fast alle in seinem Umkreis hatte er keine Religion.

Eines Tages hatte er ein religiöses Erlebnis und er wurde neugierig und öffnete sich dem Spirituellen. Er beschloss zu beten, um zu sehen, ob er eine Antwort bekäme. Er wusste nicht, wie man richtig betet, und so bekam er zunächst gar keine Antwort.

Ohne geistliche Orientierung versuchte er ein bisschen von allem. Und mangels Kontakt mit Christen tauschte er sich mit seinen Freunden aus, die allerdings genauso wenig wussten wie er selbst.

Er überlegte laut: „Wenn ich nur zu Gott bete, merke ich bisher nichts, daher habe ich angefangen, auch zu Jesus zu beten. Aber vielleicht ist ja auch der Islam richtig, und man soll auch Mohammed verehren? Aber falls Mohammed kein richtiger Prophet war und Jesus nicht göttlich war, könnte es nicht sein, dass Gott sich ärgert, dass ich außer ihn auch andere verehre?“

Einer seiner Freunde hatte gerade sein drittes Bier geleert und gab lautstark die Antwort: „Also da kann ich dir auch nicht weiterhelfen. Ich kann dir nur eines sagen: Wenn du schon unbedingt beten willst, musst du außer zu Gott auch zu einem dieser anderen beiden Typen beten. Du darfst auf keinen Fall nur zu Gott beten, denn dann bist du ja eigentlich ein Jude und verlierst hier alle dein Freunde.“

Antisemitismus und Fußball?


Es war einmal ein Mann, der fiel seinen Freunden gelegentlich dadurch auf, dass er voller Hass über einen gewissen Fußballclub sprach. Der Klub war keiner der großen, also passte der Hass nicht in die Schublade „Wer Dortmund-Fan ist muss Bayern hassen“ und umgekehrt, und niemand wusste so recht, warum der Mann ausgerechnet diesen Klub so hasste. Es fragte auch keiner, denn niemand interessierte sich für diesen Club, aber auch ungefragt ließ der Mann sich mitunter aus und äußerte dabei wilde Anschuldigungen, ohne diese allerdings mit sachlichen Argumenten zu untermauern: „Dieser Club wird noch die ganze Bundesliga zerstören! Der ganze deutsche Fußball ist in Gefahr! Das ganze Land wird korrumpiert. Die bestechen die Schiedsrichter und Spieler und tun alles, um den Fußball kaputt zu machen!“

Gerade weil das so übertrieben war, nahm niemand das für ernst, bis der Mann durch Erbe Besitzer eines größeren Betriebes wurde. Jetzt setzte er nämlich seinen Hass in Regeln für seine Untergebenen um. Niemand durfte im Betrieb den Namen des Clubs nennen, und in einem Rundbrief forderte der Mann die Mitarbeiter auf, herauszufinden, ob Freunde oder Verwandte Kontakte zu Anhängern dieses Vereins hätten. In diesem Falle sollte man diese Freunde und Verwandten ausgrenzen, ja, sich sogar von seinem Ehegemahl scheiden lassen.

Erst da kam es einer Prokuristin, die neu in dem Betrieb angestellt worden war, in den Sinn, die anderen Mitarbeiter zu fragen: „Aber für welchen Verein ist denn eigentlich unser Chef?“

Niemand wusste es. Man überlegte, welcher Verein zu dem Hass passen würde. Es gibt ja durchaus Vereine, die eine Feindschaft mit einem anderen hegen, aber nichts wollte passen. Die Prokuristin war noch jung und unbedarft und beschloss, den Chef einfach selbst zu fragen. Dieser schaute sie verwundert an: „Ich? Ich habe überhaupt gar keinen Lieblingsverein, ich interessiere mich überhaupt nicht für Fußball, weiß nicht einmal was Abseits ist.“

Daran fühlte ich mich erinnert, als ich nach über zwanzig Jahren Auslandsaufenthalt in Deutschland mit einem rechtsradikalen Jugendlichen ins Gespräch kam, der behauptete, Juden zu hassen. Ich tat erstaunt und sagte: „So, und was würdest du machen, wenn deine Schwester Jüdin wäre oder zum Judentum übertritt?“

Er antwortete sofort: „Dann würde ich sie töten.“

Wie sich herausstellte, gehörte der Junge keiner Religion an, wusste auch nichts über Religionen, hatte nie eine Kirche betreten. In seiner frühen Kindheit war er von seiner Mutter, die ebenfalls keiner Religion angehörte, sadistisch misshandelt worden.

Hier scheint der Fall klar zu sein. Der Antisemitismus hat überhaupt keine realen oder logischen Gründe, sondern ist ein Fall für den Psychologen, bedingt oder begünstigt durch das Trauma der Kindheit.

Ähnlich unlogisch lag der Fall bei Hitler. Er hasste die Juden, hatte selbst aber keine Religion und auch kaum theologische Kenntnisse. Er glaubte augenscheinlich an keinen Gott, obwohl er, wenn es ihm opportun erschien, in seltenen Fällen das Wort Gott in den Mund nahm und behauptete, dieser von ihm idealisierte Gott sei auf seiner Seite. Er war keinesfalls ein aktiver Atheist, eher jemand, dem die Religion völlig egal war.

Wenn jemand an gar keinen Gott glaubte, war es ihm am liebsten. Wenn einer nur an Gott glaubte, war es ihm ein schrecklicher Gräuel, und er verfolgte die Gläubigen, folterte und tötete sie. Wenn jemand an Gott und Jesus glaubte, lehnte er das auch ab, aber er verfolgte nur die Leiter und versuchte sich mit den anderen vorerst zu arrangieren. Wenn jemand hingegen an Gott, Jesus und den Propheten Mohammed glaubte, wurde er relativ freundlich behandelt, da Hitler sich mit diesen Leuten, den Mohammedanern, im Krieg verbünden wollte und außerdem gegen den kriegerischen Islam weit weniger einzuwenden hatte als gegen das eher friedferige Christentum.

Die erste Gruppe, diejenigen, die an keinen Gott glauben, sind die Atheisten. Diejenigen, die nur an Gott glauben, sind die Juden. Diejenigen, die an Gott und Jesus glauben, sind die Christen und die letzteren die Mohammedaner. Mit welcher Logik hassen Hitler und andere rechtsradikale Leute nun ausgerechnet die zweite Gruppe, und das noch dazu, wenn sie sich selbst gar nicht für Religion interessieren? Absurderweise beahuptete Hitler ja öffentlich, er sei kein Atheist, sondern glaube an die Existenz eines Gottes, allerdings nicht an Jesus oder Mohammed, so dass er also selbst von daher dem jüdischen Glauben anhing.

Nun werden manche Rechtsradikale entgegnen, es ginge ihnen gar nicht um die Religion, sondern um die Rasse. Das wäre aber noch absurder. Dann hätte Hitler diejenigen Juden verfolgen müssen, die die ganze Zeit über als kleine Minderheit in Israel überlebt und sich einigermaßen ihr semitisches Blut bewahrt haben. Jeder weiß schließlich, dass die Juden, die zu Hitlers Zeiten in Deutschland gelebt haben, in der Regel genauso wie Katholiken oder Protestanten ausgesehen haben, viele hatten auch blonde Haare und blaue Augen. Die Juden mussten daher einen Judenstern tragen, damit man sie überhaupt von den Nichtjuden unterscheiden konnte. Die Juden in Äthiopien hatten hingegen schwarze Haut.

Diese Angleichung im Aussehen ist ganz normal nach zwei Jahrtausenden Vermischung der jüdischen Einwanderer mit der einheimischen Bevölkerung. Die Nachkommen der Goten in Spanien haben schließlich auch meistens kein germanisches Aussehen mehr. Und wenn es wirklich wahr wäre, dass es um das Blut und nicht um die Religion ginge, warum würde dann der Jugendliche seine Schwester töten, wenn sie nur an Gott, nicht aber an Jesus oder Mohammed glaubte und folgerichtig zum Judentum übertreten würde?